Freitag, 2. Oktober 2015

Oh du schöne, verrückte Wiesn

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Ich feiere Jubiläum. Seit 15 Jahren lebe ich in Oberbayern und genauso lange hat sie mich im Griff: die Wiesn, das Oktoberfest, das größte Volksfest der Welt. Zu Beginn war es das bayerische Klischee schlechthin, behaftet mit Vorurteilen, Mysterien und einer großen Portion Skepsis. Dann wurde es als Teenager aus dem Münchner Umland zur größten Herausforderung, nach der Schule möglichst schnell eine S-Bahn abzupassen, ins Zelt zu gelangen und dort eine Radler-Maß zu bestellen - stolz saß man inmitten der Menschen und genoss als 16-Jährige Bier, das einem eigentlich nur mäßig schmeckte - egal, man hatte es geschafft. Während des Studiums pilgerte ich dann mit meinen Kommilitonen, einer bunten Mischung aus Münchnern und Zugereisten, in die Zelte, liebte die Ausgelassenheit, die Fischsemmel und Hexenschaukel danach, das Bauchweh vom Lachen. Nach vielen Jahren kann ich die Faszination endlich in Worte fassen: Die Wiesn lebt von Emotionen, Gefühle sind das ganze große "Geheimnis". An welchem Ort der Welt gibt es das? 



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Ich stehe auf einer Bank, klatsche mit tausenden Menschen im Rhythmus der Musik und schreie "Hölle, Hölle, Hölle". Ich trinke die erste Wiesn-Maß und komme vor lauter Schaum nicht an das Bier. Der Geruch von Hendl durchströmt die Luft und ich kann es kaum erwarten, dieses glänzende Stück Fleisch mit meinen Fingern auseinanderzunehmen, zwischendurch in eine Brezn zu beißen und danach die große Sauerei mit den beiliegenden Zitronentüchern zu beheben. Die Wege zur Toilette werden zum Hindernisparcours, Stimmen, Musik, Bewegungen gehen ineinander über und alle taumeln in Bierseligkeit. Auf dem Höhepunkt der Stimmung geht es schnell raus aus dem Zelt, schließlich wartet die Fischsemmel schon auf ihren Einsatz und danach geht es im Dunkel der Nacht über den Festplatz. Überall blinkt und piept es, der Boden leuchtet bunt von Servietten, Losen und Allerlei, und viele gönnen sich eine letzte Achterbahnfahrt. Diese melancholische Nachtstimmung kontrastiert das Gewusel im Zelt so wunderbar, hier gibt es alles: Lachen, Liebe, Tränen, Chaos, alles.

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Und noch eine Seite der Wiesn wartet auf mich und lässt mein Herz hüpfen: das entspannte Bummeln zur Mittagszeit unter der Woche. Im besten Fall zeigt sich der Himmel von seiner schönen blau-weißen Seite, und dann steht dem Vergnügen nichts mehr im Wege: Zuckerwatte hier, Mandeln dort, eine Original-Ochsensemmel aus der Ochsenbraterei oder ein Steckerl-Fisch von der Fischer-Vroni. Brauereipferde, die üppig geschmückt über die Zeltstraße fahren und Touristen wie Einheimische gleichermaßen erfreuen. Ein Besuch im Biergarten darf auch nicht fehlen, dort schmeckt die Radler-Maß immer noch am besten. Voll, zufrieden und glücklich geht es am Nachmittag wieder nach Hause, und ja auch das ist Wiesn.

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Den Anstich am ersten Samstag habe ich schon öfter miterlebt, im letzten Jahr war ich aber erstmals beim Wiesn-Ende im Zelt dabei - und genau dort bin ich am Sonntag wieder. Die Atmosphäre ist ganz besonders: Die Freude zu feiern, zu singen und zu trinken, mischt sich mit der Melancholie der letzten Wiesn-Stunden. Goaßlschnalzer bekommen noch einmal ihren Auftritt, das Trompetensolo erklingt, das Licht erlischt und die Feuerzeuge gehen an, ein letztes Mal "Angels" und zack, das war es - für dieses Jahr, denn die nächste Wiesn kommt gewiss.

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wiesn-ochsenbraterei

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