Montag, 16. März 2015

Leseworte: "Angezogen" von Barbara Vinken


Bewusst zu einem Buch zu greifen und sich die Muße wie Zeit zu nehmen, es intensiv zu lesen und nicht gleich einem Online-Buchstabenreigen zu überfliegen, kommt bei mir schon seit einigen Jahren viel zu kurz. Meine Lesegewohnheiten haben sich unglaublich verändert und die Konzentration auf ausgewählte Textstücke scheint mir schon fast verloren gegangen zu sein - stattdessen bin ich Meister im schnellen Lesen und Sammeln der wichtigsten Fakten. Das hat durchaus seine Vorteile, bringt aber kaum einen wahren Lesegenuss hervor. Buchgeschenke wirken hier wie eine Befreiung.


"Anzogen" von Barbara Vinken, teils mit Abbildungen

Der Schenker hat sich hier nämlich den einen oder anderen Gedanken gemacht, um dem Beschenkenden zu erfreuen - und das hat bei mir bestens geklappt. Barbara Vinken ist mir bereits von ihrem Buch "Die deutsche Mutter" und zahlreichen Aufsätzen in der Kulturlandschaft ein Begriff und auch von ihrem Sachbuch "Angezogen" hatte ich schon Kritiken gelesen. Meine Begeisterung für Mode kennt bekanntlich kaum Grenzen und besonders erfreut mich in letzter Zeit die, zumindest gefühlte, steigende Wertschätzung von Mode als Kunstform. Museen beziehen die Mode als Kulturgut in ihre Konzepte ein, betreiben Ausstellungen zum Thema und auch der modische Buchmarkt zieht an - was nicht zuletzt die mittlerweile achte Auflage von Vinkens "Angezogen" beweist. Auch wenn der Zugriff auf das Thema anfänglich oft plakativ ist, freut mich diese Entwicklung. Nun aber zum Buch:
"Die Geschichte der Mode [...] möchte ich anders erzählen. Treten wir einen Schritt zurück. Unsere Mode, die Mode der Moderne, entsteht um die Französische Revolution herum. [...] Die Mode der Moderne ist das Resultat des Zusammenbruchs einer kosmischen Ordnung."
Barbara Vinken: Angezogen. Das Geheimnis der Mode. Stuttgart: Klett Cotta 2013.


Im Zitat wird schnell klar, wie Vinken mit dem Thema Mode arbeitet: Sie bezieht unsere gesamte Kulturgeschichte ein, spinnt immer wieder Fäden zu Gesellschaft, Geschlechtern und den jeweiligen Zeitgenossen. Sie betrachtet historische und gegenwärtige Größen wie Marie Antoinette oder Michelle Obama - und schafft damit ein unglaubliches rundes Bild, das den Leser durch große Worte und Pointen unterhält. Nur so viel: Der Anfang unserer Mode liegt in ebenjener französischen Revolution, da sich darin die bisherigen Standesgrenzen von Adel und Bürgertum auflösten - danach betrat die (vermeintliche) Gleichheit das Feld der Menschen und verschob Geschlechter wie Kulturkreise. Ein spannendes Buch, das auf vielen Seiten "Oh"- und "Ah"-Momente erschafft und dabei unsere "moderne" Mode entschlüsselt.
Und zum Schluss noch ein kleiner Tipp für alle Münchner: Wer Barbara Vinken samt Thesen und Theorien live erleben möchte, kann ihre Vorlesung zum Thema "Mode und Moderne" ab dem 13.4 an der LMU München besuchen!

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