Montag, 9. April 2012

Die moderne Amazone

Trotz aller Pastelltöne, Blumenmuster und schwingender Chiffonröcke, die sich alljährlich in den Frühlingstrends niederschlagen, gibt es eine nicht zu leugnende Tendenz hin zu einer starken, fast kämpferischen Mode: Leder, Metallapplikationen, starre Halsketten, Harnische oder Body Chains und nicht zuletzt schwarze Plateauschuhe, mit der Frau gegen alles gerüstet zu sein scheint. Hier ist aber nicht die Rede von ausgefallenen Szeneklamotten, sondern von alltäglichen Stücken, die jederzeit bei H&M, Topshop oder ASOS bestellt werden können.

V. l. n. r.: Rock: ZARA - Hose: H&M - Cape: ASOS - Ledertop: H&M -Im Hintergrund: Bustier von Topshop

V. l. n. r.: Ankle Boots: ASOS - Sandale: Hunt via ASOS
Keilsandale: Surface to Air via ASOS - Peeptoe: Unique via Topshop - Boots: Topshop
Im Hintergrund: Sandale von Kat Maconie via ASOS

Was sagt uns dieser Trend? Natürlich kommt es auf die richtige Kombination an: Das Ledertop zur schmalen Jeans oder ein einfaches weißes T-Shirt zum Lederfransenrock wirkt stark, selbstbewusst und auf seine Art puristisch denn ein komplettes Leder- und Metalloutfit. Aber dennoch: Warum schirmen wir uns so ab? Und gegen was wollen wir uns schützen? In welchen Kampf treten wir oder sind wir bereits getreten?

Mich erinnert diese Mode sofort an Penthesilea, die Königin der Amazonen. Sie kämpft in glänzender Rüstung, mit wallendem Haar und bis auf die Zähne bewaffnet gegen: Männer. Der griechische Dichter Quintus von Smyrna (4. Jh. n. Chr.) in Fortsetzung der Ilias:
Doch als Eos am Morgen mit rosigen Füßen emporstieg,
Da sprang Penthesilea, das Herz voll trotzigen Mutes,
Ohne Verzug vom Lager empor und umhüllte die Schultern
Rings mit der künstlichen Wehr, dem Geschenk des erhabenen Ares.
Glänzende Schienen von Gold, die wohl an die Füße sich schlossen,
Fügte die Heldin zuerst um die blendenden Füßen; den Harnisch
Legte sie sich dann, den beweglichen, warf um die Schultern
freudig erregt das gewaltige Schwert, um welches die Scheide
Lief, voll Kunst aus Silber und Elfenbeine gebildet,
[...]Weiter bedeckte
Sie mit dem Helme das Haupt, den goldene Mähnen umwallten.
Also umgab sie die Glieder mit schimmernden Waffengeschmeide,
glanzvoll schritt sie dahin wie der Blitzstrahl.
Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischen und römischen Klassiker in neueren deutschen Musterübersetzungen. Bd. 2: Äsop – Hesiod – Quintus. Berlin: Langenscheidt 1867, S. 4 – 22.

V. l. n. r.: Kleid: ASOS - Kleid: Topshop -Kleid: ASOS - Im Hintergrund: Kleid von Topshop

V. l. n. r.: Body Necklace: Topshop - Ring: H&M - Kette: Topshop - Earcuff: Topshop
   Ring: H&M - Kette: ZARA - Body Necklace: Topshop - Im Hintergrund: Harnischgürtel von ASOS

Der Legende nach sind die Amazonen ein kriegerisches Frauenvolk, das sich gegen Eindringlinge selbst mit Bogen und Pfeil verteidigte und zu diesem Zwecke die rechte Brust abbrannte. Sie lebten in einem selbstständigen Staat und unterrichteten sich im Laufen, Reiten, Jagen und Schießen. Kleist nimmt diesen Mythos in seinem Trauerspiel Penthesilea aus dem Jahr 1808 auf, in dem die Amazonenkönigin dem Griechen Achill begegnet, sich eine tragische Liebesgeschichte auf dem Kriegsfeld entspinnt und Kleist uns damit den schönsten Schluss der deutschen Literatur beschert:
Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte!
Die abgestorbne Eiche steht im Sturm,
Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder,
Weil er in ihre Krone greifen kann.
Heinrich von Kleist: Penthesilea. Ein Trauerspiel. Stuttgart: Reclam 1986.

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